Anastasia Kobekina: Cello (Quelle: music.youtube.com)
Wir Suhler Freien Wähler treten ein für Vielfalt an Kultur in unserer Stadt. Dazu gehört natürlich auch die Klassik. Wir können uns glücklich schätzen, dass das profilierte und bekannte MDR-Rundfunk-Sinfonieorchester jährlich vier bis fünf Konzerte im CCS spielt. Das sind absolute Höhepunkte im Musikleben der Stadt. Wir wünschen uns, dass dies auch in der Zukunft so bleibt. Doch im Selbstlauf wird das nicht funktionieren. Lilian Klement, langjährige Kulturredakteurin einer hiesigen Zeitung, hat dazu ihre Gedanken aufgeschrieben. Wir veröffentlichen diese sehr gerne, um damit Anstöße zu geben an den MDR selbst, an Medien und Werbeträger, an die Stadtverwaltung und natürlich an das Publikum bzw. den Publikumsnachwuchs.
Ja, wäre Jonas Kaufmann gekommen: In der öffentlichen Wahrnehmung hat es eine Cindy aus Marzahn in Suhl leichter als eine weltklasse Cellistin, Gedanken zu einem Thema.
Suhl. Cindy aus Marzahn, die schrille, pinke Lady, kam wieder einmal nach Suhl - nicht zu überhören und nicht zu übersehen. Schenkelklopfer und Rennsteiglied. Das CCS wackelte vor Begeisterung. Und wer nicht live dabei war, der durfte zumindest umfänglich nachlesen, wie großartig die Cindy doch wieder alle Register ihrer Sprüchekunst zog - ob oberhalb oder halb unterhalb der Gürtellinie: Cindy great again.
Dieser Tage wackelte das CCS auch wieder aus Begeisterung. Nur sorgte diesmal dafür lediglich ein Bruchteil des Publikums im Vergleich zum Cindy-Enthusiasmus. Und von diesem Ereignis wiederum gelangte nichts an die Öffentlichkeit. Nicht ein Sterbenswörtchen. Hätten sich aber etliche Besucherinnen und Besucher gerne gewünscht, wenn nicht gar erwartet. Aber es ging in diesem Fall ja nur um Klassik, klassische Musik. Ein Nischenprogramm.
Wo warst du, du Heimatzeitung?
Ach ja, da war ganz viel los an jenem Wochenende. Tuningfans, feiernde Auenknirpse, Rennsteiglauf, Museumstag, Eröffnung des Orgelsommers, Musikschulkonzert. Da hat Klassik ganz, ganz schlechte Karten für eine Berichterstattung. Vielleicht, wenn Jonas Kaufmann gekommen wäre … Aber der kam ja nicht.
Es kam stattdessen Anastasia Kobekina. Eine ganz außergewöhnliche junge Cellistin. Die jetzt schon hoch gehandelt wird. Und in ein paar Jahren werden wir, die wir ihr Spiel an jenem 17. Mai erlebten, wohl sagen können: Diesem Weltstar sind wir in Suhl für ein paar Euro schon begegnet.
Kabalewskis Cellokonzert gehört nicht gerade zu den Mainstream-Highlights von Dvorak oder Elgar etwa. Kein Werk, das sich einfach so einschmeichelt und dem Publikum hofiert.
Nein, wenn das passiert, dann ist etwas Großartiges gelungen. Wenn das Publikum vor Begeisterung von den Sitzen springt, dann hat die Künstlerin mit ihrer inniglichen wie virtuosen Interpretation die Herzen der Zuhörer berührt und einen feuchten Glanz in ihre Augen gezaubert. Und nach der Zugabe, einem temperamentvoll vorgetragenen Fandango aus der Barockzeit - „hat jemand zufällig Kastagnetten dabei?“, ruft sie verschmitzt in den Saal - gibt es im Publikum kein Halten mehr: begeisternde Pfiffe, Jubel, Trampeln, minutenlanger, stehender Beifall.
Wow, was war das denn?! Ja, was war das? Eine der Sternstunden klassischer Musik in Suhl. Der MDR machts möglich. Mit seinem fabelhaften Orchester, und zudem Schostakowitschs schwieriger, wohl aber populärster Sinfonie, der Fünften. Und mit einer ebenfalls sehr jungen Dirigentin am Pult - Stephanie Childress. Kraftvoll und dennoch transparent entwickelt die Britin mit dem MDR-Klangkörper ein Interpretationsangebot, dessen Faszination das Publikum sich nicht entziehen konnte.
Dass es solche Angebote in Suhl gibt - jenseits der Musikmetropolen - ist ein Geschenk für die hiesigen Klassikfreunde. Man müsste sonst kilometerweit fahren. Ob man sich dessen hier bewusst ist? Dem allerdings immer kleiner werdenden Publikum ist das schon bewusst. Und so fragt sich mancher, wie lange das noch möglich sein werde.
Suhl hat eine viele Jahrzehnte währende Musiktradition, die immer mehr zu bröckeln droht: Warum ist das so? Warum erreicht das wirklich erstklassige Angebot außer den Stammgästen immer weniger Interessierte?
In einer Stadt, die sich auch eine veritable Musikschule leistet und die justament einen Tag später, nach dem MDR-Gastspiel, die eingerichtete Bühne, wie jedes Jahr, für ihr Frühlingskonzert nutzt.
Die Werbung für die Suhler Konzerte hält sich in Grenzen. Da zeigt der MDR, der über verschiedene Hörfunkprogramme und einen Fernsehsender (regionales inklusive) verfügt, wenig Kreativität und offenbar noch weniger Strategie, um das Publikum besser zu erreichen. Und die Zusammenarbeit mit hiesigen Medien? Da ist offenbar auch noch viel Luft nach oben.
Die erste Zeitung am Platz hat Platz für Vieles und für vielgefächerte Lesebedürfnisse. Nichts gegen Cindy aus Marzahn, nichts gegen die Amigos, nichts gegen Stars der Unterhaltungskunst und jene, die meinen, dazu zu gehören, alles hat seine Berechtigung. Aber, so fragt man sich, warum wird ein erstklassiges Musikerlebnis nicht gleichberechtigt behandelt und einfach ausgeblendet? Es muss ja nicht gleich eine halbe Seite sein.
Die Verfasserin des Textes war 40 Jahre Kulturredakteurin in "Freies Wort".
Lilian Klement, Suhl
Nächstes Klassikkonzert des MDR-Rundfunk-Sinfonieorchesters im CCS:
28.06.2025, 17 Uhr, Werke von Bernstein, Gershwin und Glass, Klaviersolistin: Maki Namekawa